
Wir lieben Fliegen – 1. Tag: Stuttgart–FRA–MAD–El Escorial
22. Mai 2013
Rückblende Stuttgart 6:45 Uhr: 60 fast wache Gesichter scharen sich um den Kappus-Doppeldecker, der uns dieses Mal leider nicht auf der gesamten Reise begleiten kann, sondern uns zum Flughafen Frankfurt bringt. Hier vollziehen wir den kleinen, aber bedeutenden Wechsel von Hymbus zu Airbus. Denn nachdem wir erfolgreich den Dschungel der Gepäckstückaufgabe und Passkontrolle hinter uns gelassen haben und die Gelegenheit hatten, das rege Treiben auf dem Flugfeld zu bestaunen, heben wir um Punkt 13:24 Uhr von deutschem Boden ab. Für alle Erstflieger folgen nun zwei spannende Flugstunden in luftigen Höhen, während derer wir zum ersten Mal die Sonne oberhalb des dichten Wolkenmeeres erblicken dürfen. Im Gegensatz zu dem erwarteten Sandwich erhalten wir zum Mittagessen dampfend heiße Ravioli, und da wir in diesem Moment die Schweiz überfliegen, gibt es passenderweise einen Toblerone-Riegel. Auch der berühmt berüchtigte Tomatensaft darf in der Flugkabine nicht fehlen.
Nachdem wir den Flughafen Madrid mit kleinen Verlusten verlassen haben (eine Anzugtasche ist in den Untiefen der Gepäcktransportsysteme verschwunden), besteigen wir das spanische Äquivalent zum Kappus-Reisebus und treten die Fahrt nach El Escorial an. Nach etwa einer Stunde erreichen wir unser Ziel und wandern über die gepflasterten Straßen in der erstaunlich windigen Stadt zur beeindruckenden Klosteranlage von San Lorenzo de El Escorial. Hier werden die Knaben auf ihre Gastfamilien verteilt, der Männerchor begibt sich zur Albergue Juvenil El Escorial. Bevor wir morgen die spanische Hauptstadt erkunden und besingen werden, freuen wir uns nun erst einmal auf ein schönes, weiches Bett. In diesem Sinne: ¨¡Buenas noches!¨ und bis morgen.
Das begeisterte Publikum motiviert – 2. Tag: Madrid
23. Mai 2013
Nach einer Vesperpause auf dem Vorplatz des Klosters, bei wunderbarem Wetter (keine Wolke am Himmel!), geht es mit dem Bus in die Hauptstadt von Spanien: Madrid. Sie ist nach London und Berlin mit knapp sieben Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt der EU. Zudem ist Madrid mit ca. 666 Metern über Null die höchstgelegene Hauptstadt Europas.
In Madrid schwärmen die Kleingruppen aus, die Stadt zu erkunden. Madrid ist natürlich riesig, so groß, dass man nicht alles anschauen kann. Trotzdem macht es großen Spaß, die Straßen entlang zu gehen, die schönen alten und palastartigen Gebäude anzuschauen und den Hauch vom südlichen Flair zu spüren.
Am späten Nachmitttag heißt es dann Anspielprobe in der Kirche San Manuel y San Benito, die direkt im Herzen der Stadt liegt. Die Kirche wurde Anfang des 20 Jahrhunderts errichtet und hat eine besondere Verbindung zu Stuttgart: Ihre Orgel wurde von der Stuttgarter Orgelbaufirma Walcker erbaut.
Um 20.45Uhr läuft der Chor mit “Laudate omnes gentes” in das Kuppelhaus ein. Wir meistern die Akustik gut, die sich mit ihrem langen Nachhall vor allem bei den Mendelssohn Stücken sehr positiv auf den Klang auswirkt. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz belegt. Hin und wieder geht mal ein Zuhörer und dann komm wieder ein neuer, was wir sehr amüsant finden. Das Publikum ist total begeistert und applaudiert nach jedem Stück, was unheimlich viel Motivation bringt, die wir nach einem langen und anstrengenden Tag gerne in uns aufnehmen. Wir werden von Stück zu Stück besser. Am Schluss stehen die Zuschauerreihen und der Applaus will nicht aufhören. Diese tolle Erfahrung nehmen wir gerne mit in den Bus, der uns wieder nach El Escorial bringt, wo wir müde und erschöpft, aber glücklich ins Bettchen fallen – nicht einmal für einen Eintrag ins Reisetagebuch wollen sich unsere bleischweren Glieder aufraffen. Deshalb erscheint dieser Eintrag einen Tag später als gewohnt.
Das Wandern ist des Sängers Lust – 3. Tag: El Escorial
24. Mai 2013
So stellt sich das Szenario am Morgen unseres freien Tages dar, für die meisten von uns ein durchaus ungewohnter Anblick. Marschieren heißt heute auch für uns das Zauberwort, denn bewaffnet mit Lunchpaketen, guter Laune und großzügig Sonnencreme wollen wir die Berge um El Escorial erklimmen.
Unser Weg führt durch wunderbar mediterrane Landschaften zum ¨Sillo de Felipe II¨, einem in den Fels gehauenen begehbaren Monument, das an den Erbauer des Klosters erinnert und einen schönen Blick auf dieses bietet. Auf den Felsen lässt sich auf vorzüglich klettern, wie unsere Knaben unter den wachsamen Augen der Betreuer nur allzu gerne beweisen. Einige wenige machen sich sogar auf bis zum Gipfel des Berges.
Nach einer ausgiebigen Vesperpause geht es zurück zur Klosteranlage von El Escorial, die wir nun endlich einmal von innen besichtigen können. Mit seinen etwa 2.000 Gemächern hat diese Kombination von Palast und Kloster einiges zu bieten. Die Schlafgemächer von König und Königin grenzen direkt an die Basilika an, die allein für sich eine besondere Schönheit darstellt. Nachdem wir uns überzeugt haben, dass auf den historischen Landkarten des spanischen Königs auch ¨Stutgardt¨ verzeichnet ist, steigen wir hinab zur letzten Ruhestätte der spanischen Könige. Auch am Grab des legendären Don Giovanni kommen wir vorbei. Nicht zuletzt die Bibliothek des Klosters mit ihren 40.000 Büchern — mehr als die Stadt Einwohner hat — lohnt einen Besuch. Sogar ein altes Schachbuch gibt es dort.
Doch ganz ohne Musik geht es bei uns einfach nicht, deshalb werden in den Probenzimmern des am Kloster ansässigen Knabenchores Bach-Kantaten einstudiert. Bevor die Gastfamilien ihre Knaben abholen, endet der Tag, wie er angefangen hat: Fußball auf dem riesigen, mittlerweile von Soldaten leeren Vorplatz des Klosters.
Auf großer Fahrt – 4. Tag: El Escorial–Zaragoza
25. Mai 2013
So beeindruckend groß diese Kirche ist, so schwierig gestaltet sich die Akustik, da man einander nicht besonders gut hört. Doch auf derlei Schwierigkeiten sind wir eingestellt und bringen die Zuhörerschaft, die sich vornehmlich aus Gasteltern, Sängern des klostereigenen Knabenchors sowie zufällig vorbeikommenden Besuchern des Klosters zusammensetzt, zu Standing Ovations.
Gegründet 1567, ist dieser Knabenchor übrigens fast fünfmal so alt wie der Hymnus und auch älter als der älteste Komponist unseres Konzertprogrammes, Heinrich Schütz. Von ihm singen wir die Motette ¨Herr, auf dich traue ich¨. Das Programm erstreckt sich bis zum zeitgenössischen Komponisten Franz M. Herzog, dessen ¨Credo¨ mit seinen markanten Rhythmen die Zuschauer aufhorchen lässt. Einen Schwerpunkt bildet die Musik Johann Sebastian Bachs mit den Motetten ¨Der Geist hilft unser Schwachheit auf¨ und ¨Singet dem Herrn ein neues Lied¨. Der Männerchor hat mit Stücken von Johannes Matthias Michel und dem Barbershop ¨Judgement Day¨ einen eigenen Programmblock.
Unsere Fahrt führt über die fast autoleere Nationalstraße durch zerklüftete Landschaften, die einen Hauch von Rocky Mountains erwecken. Weil viereinhalb Stunden auch für den härtesten Knaben recht viel sind, wird auf der zweiten Hälfte der Fahrt der Film ¨The Blind Side¨ gezeigt.
In Zaragoza erwarten uns schon Schüler, Eltern und Lehrer der deutschen Schule (Colegio Alemán). Eilig werden die Quartiere verteilt, denn am Abend steht das Champions-Leage-Finalspiel Bayern gegen Dortmund als Pflichtprogramm fest. Knaben wie Männer fiebern vor den Fernsehschirmen und sind fast alle enttäuscht, als Arjen Robben in der 89. Minute dem Spiel ein Ende bereitet und damit auch die Bettzeit für die Knaben auf 22.30 Uhr festlegt.
Viel Freizeit und ein halbes Konzert – 5. Tag: Zaragoza
26. Mai 2013
Dank Frau Otts Einsatz steht, pünktlich zur Vesperpause, ein Buffet für all jene bereit, die kein Lunchpaket von der Familie bekommen haben. Natürlich ist das Essen nur für den einen oder anderen Männerchörler wichtig. Unsere Jungs zieht es, wie soll es auch anders sein, auf die Beton-Fußballfelder (Die Schule verfügt gleich über mehrere, was unsere Knaben sehr erfreut).
Dann kommt eine ganz kurze Busfahrt in das sehr moderne, schön hergerichtete und sehr saubere Stadtzentrum. Hier befindet sich auch die Kirche unseres abendlichen Auftrittes, die Iglesia San Miguel. Hier heißt es wieder proben, diesmal die Anspielprobe. Die Besonderheit heute ist, dass wir unser Konzert nicht alleine geben, sondern die Konzertzeit von eineinhalb Stunden mit dem “Coro Juvenil Amici Musicae del Auditorio de Zaragoza” teilen, einem Jugendchor, der aus Musikstudenten und Musikstudentinnen besteht. Treffen werden wir diesen Chor aber erst beim Konzert am Abend, sodass wir jetzt etwas mehr für den Feinschliff an unserem Konzertprogramm arbeiten können. Man hört nun deutlich, dass wir sehr fit sind (wohl wegen des Ausschlafens) und auch viel besser aufeinander hören. Herr Homburg gibt sich nach der Anspielprobe sehr zufrieden.
Nach der Probe geht es in die Gastfamilien. Hier verbringen die Sänger den Nachmittag und erkunden Zaragoza oder die Spielkonsolen der Gastbrüder und -schwestern. Erholt treffen wir am Abend wieder an der Kirche ein. Die abendliche Messe ist gerade vorüber und es zeichnet sich ab, dass die Kirche richtig voll wird. Fast erinnern die Verhältnisse an die Christvesper in der Stiftskirche, mehr als 400 Zuhörer sitzen in den Bänken oder stehen im hinteren Teil der Kirche und an den Wänden entlang. Wir ziehen singend ein und übernehmen den ersten, klassischen Teil des Konzertes. Man merkt, dass wir dem Studentenchor zeigen wollen, dass auch “normale” Schulkinder, die sowieso schon viel mit Lernen beschäftigt sind, mit Profis mithalten kann.
Nach unserem Block singt der Coro Juvenil und beeindruckt alle mit seinem modernen Programm, unter anderem mit Werken von Whitacre und Nystedt. Der Hymnus und die übrigen Zuhörer sind begeistert vom Gesang der jungen Männer und Frauen. Zum Schluss stehen Hymnus und Coro Juvenil zusammen vor dem Altar und singen zwei Zugaben. Herr Homburg dirigiert “The Lord is my Shepherd” und die Chorleiterin des Studentenchors Bachs “Jesus bleibet meine Freude”. Am Schluss gibt es minutenlangen Applaus.
Das nehmen wir gerne mit in unsere Quartiere. Und jetzt ab ins Bett. Bei Konzertende hatten wir schon nach 22 Uhr. Morgen gibt es wieder eine lange Busreise.
Die ganze Familie unter einem Dach – 6. Tag, Barcelona
27. Mai 2013
So trifft man sich morgens an der deutschen Schule in Zaragoza, nimmt Abschied von den Gastfamilien und macht sich auf die mehr als 300 Kilometer lange Reise. Zeitvertreib gibt es genug: man unterhält sich, bestaunt die wechselhafte Landschaft, liest oder paukt gar Vokabeln. Bei einer Rast stärken wir uns am bewährten Buffet und erreichen so nach nicht gerade kurzer, aber unspektakulärer Fahrt die zweitgrößte Stadt in Spanien.
Die Wertsachen werden gut verstaut, sind wir doch von der Reiseleitung eingehend vor den Gefahren einer solchen Großstadt gewarnt worden. Knaben und Männer sind dieses Mal gemeinsam im Hostel untergebracht, wo wir zwei ganze Stockwerke für uns haben. Nach kurzer Entspannungspause marschieren wir in Konzertkleidung mit Talarkoffern zur Kirche Santa Maria del Pà zur Anspielprobe.
Die Busreise bringt einiges an Müdigkeit mit sich, was man dem Chor im Konzert auch ein wenig anmerkt. Aber routinierte Sänger meistern auch diese Schwierigkeiten und das Publikum – das teilweise unserer Einladung “Laudate omnes gentes” auf dem Kirchenvorplatz gefolgt ist – spendet reichlich Beifall. Als Zugabe gibt es dieses Mal ein Taizé-Lied auf Katalanisch.
Kräftig gesungen haben wir alle, und das ruft nach einem kräftigen Abendessen. Direkt neben dem Hostel gehen wir zum Abendessen in ein Restaurant, wo nach “Aller Augen warten auf dich, Herre” ein leckeres Menü auf uns wartet. Überrascht werden wir alle von einer Gesangsdarbietung eines spanischen Tenors, der mit kräftiger Stimme und reichlich Vibrato das Essen untermalt.
Solcherart gestärkt ist es nicht einfach, die Knaben dazu zu bewegen, ins Bett zu gehen. Aber auch das bekommt die erfahrene Betreuermannschaft schnell in den Griff und so sehen wir gemeinsam einem spannenden letzten Reisetag entgegen.
Der letzte ganze Tag – genießen wir es! – 7. Tag, Barcelona
28. Mai 2013
Fünf Stunden haben die Kleingruppen danach Zeit, Essen zu fassen und alles Wichtige von Barcelona anzuschauen. Da Barcelona sehr groß ist und die Füße durch das viele Stehen im Konzert sowieso schon müde sind, fahren alle schlauen Kleingruppen mit der Metro in der Stadt herum. Sehr spannend, da die Metro in Barcelona sich grundlegend von der Stadtbahn in Stuttgart unterscheidet. Jede Linie hat ihren eigenen Bahnsteig und das Umsteigen benötigt oft das Begehen wirrer Wege und Treppen.
Im Schleudergang werden Sagrada Familia, ein großer und bunter Markt und natürlich der Hafen inklusive Strand (mit Flugzeug-Einflugschneise) besucht. Die ganz Harten gehen sogar ins eiskalte Wasser. Andere baden nur die Füße und machen einen Strandspaziergang.
Erst am Nachmittag treffen alle Kleingruppen wieder im Hostel ein, bevor es zur Martin-Luther-Kirche geht. Die Kirche gehört zu einer kleinen deutschsprachigen evangelischen Gemeinde, und hier absolvierte der große Theologe und Regimekritiker im Dritten Reich Dietrich Bonhoeffer sein Vikariat.
Das Programm ist das übliche, die Akustik aber zum ersten Mal völlig ohne Hall. Wir hören einander und die Continuo-Gruppe viel besser. So gelingt uns ein wunderschönes Abschlusskonzert, obwohl manche nach der langen Reise müde und erschöpft sind. Nach dem Konzert wird extra lang und ausgiebig für uns gegrillt, was uns mit Freuden zart für das dezente Frühstück entschädigt.
All Fehd hat nun ein Ende – 8.Tag, BCN–FRA–Stuttgart
29. Mai 2013
Unser Flugzeug flog eine Weile übers Meer, flog dann über Marseille aufs Land. Wir überflogen einen Teil der Französischen, der Italienischen und der Schweizer Alpen. Schließlich über Bern, Zürich und Ditzingen (!) nach Frankfurt. Immer dicht gefolgt des Vueling-Fluges VY1866 auf dem direkten Weg nach Stuttgart. Hier saßen einige Hymnus-Eltern, sodass wir im Abstand von 70km zusammen in die Heimat fliegen konnten.
So also endet unsere Konzertreise nach Spanien, zumindest fast – noch liegen 200 Kilometer Autobahn nach Stuttgart vor uns. In aller Frühe haben wir uns mit dem Aérobus zum Flughafen aufgemacht, ein letztes Mal die Souvenirshops geplündert und das verbliebene Taschengeld ausgegeben. Acht wunderschöne Tage in einem Land voller gastfreundlicher Menschen haben wir erlebt und selbst unzählige Menschen mit unserer Musik berührt. Viele Vorbereitungen im Hintergrund, viele Förderer finanzieller und organisatorischer Art waren notwendig, doch das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen. Keiner der Beteiligten wird diese Konzertreise jemals vergessen.
Damit verabschiedet sich auch das Team des Reisetagebuchs: Joachim Priesner, Manfred Schüle, Philip Schäfer und Jakob Würfel waren für die Texte verantwortlich, etliche weitere für die Bilder. Um es mit den Worten der Lufthansa zu sagen: Wir würden uns freuen, sie demnächst wieder an Bord unseres Freizeittagebuchs begrüßen zu dürfen und sagen Tschüss und auf Wiedersehen.
All Fehd hat nun ein ENDE.