„Wir möchten deutlich machen, dass der Hymnus zu den musikalischen Ensembles Deutschlands gehört, die nennenswerte Beiträge zur Interpretationsgeschichte dieser Werke leisten können.“
Am 1. April feiert Rainer Johannes Homburg sein 10-jähriges Jubiläum als künstlerischer Leiter der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben. Im Interview schaut er auf die Arbeit als Chorleiter eines Knabenchors zurück.
Lieber Herr Homburg, wie ist ein Jahr mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben typischerweise strukturiert?
Der Kern unserer Arbeit ist ein Motettenprogramm, das jeweils zu Beginn der Saison einstudiert wird und über das Jahr komplettiert wird. Dieses Programm kann in den verschiedensten Zusammenhängen zum Einsatz kommen und ist damit die Grundlage des Chor-Repertoires.
Der Jahreslauf des Hymnus orientiert sich darüber hinaus an Konzerten und Stücken, die regelmäßig zur Aufführung kommen. Jedes Jahr präsentieren wir das Weihnachtsoratorium am 26. Dezember im Beethovensaal der Liederhalle, oft verbunden mit einem Vorkonzert in einer der großen Kirchen Württembergs. Es gibt in jedem Jahr die Aufführung einer Bachschen Passion, wobei wir die Johannes-Passion und die Matthäus-Passion im jährlichen Wechsel aufführen.
Dazu gibt es oft eine weitere oratorische Aufführung, aber auch kleinere Werke aus der früheren Geschichte der Musik, wie etwa „Membra Jesu nostri“ von Buxtehude oder die Exequien von Heinrich Schütz. Bei diesen Stücken ist das Besondere, dass die solistischen Partien von Sängern des Chores übernommen werden, die so gefordert und gefördert werden, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln.
Neben diesen Formaten besingen die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben jedes Jahr etwa 14 Gottesdienste in den verschiedenen Stuttgarter Kirchen – und auch darüber hinaus.
Weiterhin realisieren wir Jahresprojekte, die sich abwechselnd entweder im Bereich neue Musik/Kompositionsauftrag bewegen oder aber eine musik-theatralische Dimension haben, wie etwa das Projekt „Luthers Tat“. Dieses Theaterformat, das in einer Kirche zur Aufführung kam, ist in Zusammenarbeit mit einer Filmkünstlerin und einer Regisseurin entstanden und befasst sich mit Luther und der Musik seiner Zeit.
Darüber hinaus haben Sie kürzlich die "Hymnus-Vespern" ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?
Seit 2019 gibt es die Reihe „Hymnus-Vespern“ in der Stuttgarter Matthäuskirche. Das ist eine Form, die unsere besondere Liebe verdient, weil sie auf unserem Besuch in England beruht, wo wir Evensong gesungen haben. Wir haben die Elemente des Evensongs verglichen mit der württembergischen Vesperordnung und anschließend die schönen Elemente aus England übertragen auf unsere Möglichkeiten hier vor Ort.
Dabei wird die ganze Kirche einbezogen: Der Chor wird an verschiedenen Stellen positioniert, singt manchmal auch zugleich, und so entsteht Raummusik, die sich im Rahmen eines Abendgottesdienstes in die Liturgie fügt. Das wird in Zukunft eine wichtige Konstante der Chorarbeit: In jeder Vesper soll eine Magnificat-Komposition aufgeführt werden.
Es sind bereits erste Kompositionsaufträge vergeben, so dass wir auf diese Weise zur Entwicklung des Repertoires beitragen.
Wenn Sie auf Ihre Arbeit mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben blicken, was sind für Sie die wesentlichen Aspekte?
Im Anschluss werden sie durch den Chor, durch Stimmbildner und durch mich als Chorleiter gefördert, in Einzelunterricht und Gruppenproben – unter der stetigen Herausforderung, über sich selbst hinaus zu wachsen. Das betrifft nicht nur die musikalischen Fähigkeiten, sondern auch ihre persönlichen Möglichkeiten, mit anderen zusammen eine Gemeinschaft zu bilden.
Womit wir beim nächsten Punkt wären: Gemeinschaft ist eine ganz wichtige Voraussetzung für das Chorsingen. Bei uns geht es immer auch darum, dass man für die Anderen Verantwortung übernimmt und nicht nur ein Einzeldarsteller ist.
Wenn diese vier Faktoren zusammenkommen, setzt das Können ein – dann sind die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben in der Lage, vor die Menschen zu treten und sie mit ihrer Musik zu begeistern.
Was stellt für Sie die größte Herausforderung bei der Arbeit mit einem Knabenchor im Vergleich zu einem gemischten Chor dar?
Die größte Herausforderung ist, dass Soprane und Altisten sehr jung sind, und dass man ihnen nicht nur allgemein die Interpretation der Musik nahebringen muss, sondern alles das, was sie wissen müssen, um zwischen dem Notentext und dem tatsächlichen Klang eine Brücke zu bauen.
Sie müssen Noten lesen können, sie müssen diese verklanglichen können, sie müssen sich stimmtechnisch sicher sein – dann kann Musik entstehen. Es gibt natürlich auch Unterschiede beim Dirigat: Beim Knabenchor muss ich noch viel stärker im Moment sein, und es ist noch viel ungewisser, was man musikalisch erleben wird im Konzert.
Deswegen muss ich einfach wahnsinnig schnell reagieren, wenn ich mich mit dem Knabenchor beschäftige.
Sie feiern in diesem Jahr Ihr 10-jähriges Jubiläum als künstlerischer Leiter der Stuttgarter-Hymnus-Chorknaben. An welche Erlebnisse während der vergangenen zehn Jahre erinnern Sie sich besonders gerne?
Reisen und einzelne Höhepunkte. Es gibt immer wieder Konzerte, die einfach berückend schön sind und wo viel gelingt. Und für diese Momente von Schönheit arbeite ich. Das bedeutet ständige Pflege unseres Klangideals einerseits und intensive Auseinandersetzung mit den Partituren der großen Komponisten andererseits.
Die Reisen waren sehr beeindruckend. Vor allem die nach England 2016 hat uns sehr dazu inspiriert, Impulse, die wir aus der dortigen Knabenchor-Landschaft mitnehmen konnten, später in Stuttgart umzusetzen. Daraus entstand die Reihe der „Hymnus-Vespern in der Matthäuskirche“.
Es gab 2014 auch eine Konzertreise in die USA, die hochinteressant war. Und für mich persönlich war das Konzert, was vom Chor zu meinem 50. Geburtstag gegeben wurde, sehr schön.
500 Jahre Reformation: Diese beeindruckende Zahl des Jahres 2017 haben wir in ein szenisch-filmisch-musikalisches Projekt gießen können. „Luthers Tat“ hat sich tief eingeprägt.
Selbst der Choralltag besteht die ganze Zeit aus schönen Momenten. Das ist eine permanente Beschäftigung mit unglaublich begabten jungen Leuten.
Diese jungen Menschen füreinander und für die Sache einzunehmen, ist ein Akt der Kommunikation. Der besteht aus tausend Gesprächen und einzelnen Akten des sich Verständigens – und das macht einfach Spaß.
Das Interview wurde geführt von Cultural Affairs.